Die Sterbestunde Jesu, das ist die neunte Stunde des Tages nach alter Zählung. Also in Mitteleuropa um 3 Uhr nachmittags. Am Karfreitag um 3 Uhr nachmittags geht Erwin mit seinem Einkaufswagen auf Rädern in Lochham bei München unter der S-Bahnbrücke durch. Es ist kalt und grau, es nieselt, ein unwirscher Tag. Gar nicht frühlingshaft, wie man sich das erhofft hat. Wer nicht unbedingt raus muss, bleibt heute lieber zuhause.
Erwin geht etwas gebückt, aber wie ein 85jähriger sieht er eigentlich nicht aus. Zäh und drahtig wirkt er, ganz offenbar ist er ein „Einheimischer“, mit seinen Haferlschuhen und den Wollsocken. Er grantelt ein bisserl vor sich hin, die Augen immer auf den Meter Boden vor ihm geheftet, die rechte Hand umklammert den Trolley. Der hat auch schon bessere Tage gesehen. Vor kurzem ist Erwin auf der Treppe gestürzt, da ist ihm der Wagen ausgekommen und der Handlauf ist gebrochen. Aber als ehemaliger Metallarbeiter scheißt sich der Erwin nix (so sagt man hier in Bayern) und flickt ihn mit blauem Hansaplast.