Was hat Karate mit Eisschwimmen zu tun? Und Albrecht Dürer mit Syrien? Welche Rolle spielt Fußball in Afghanistan? Wie schminken sich Frauen aus Somalia? Welche Gedichte gibt es, die Menschen aus anderen Ländern die deutschen Farben nahebringen? Und damit die deutsche Seele?
Und hier sind wir schon, mitten in der Debatte: die deutsche Seele. Die gab es vielleicht noch zu Zeiten von Caspar David Friedrich. Doch heute ist Deutschland ein Einwanderungsland und wird es in Zukunft sogar mehr denn je sein. Sein müssen, wenn wir hier auf unseren Wohlstand nicht verzichten wollen. Und dazu scheint derzeit niemand, wirklich niemand bereit. Deutschland ist dazu noch ein Land der Vielfalt, der Möglichkeiten und – allem voran – der Sicherheit. In manchen Regionen, wie etwa in meiner Heimatstadt München, kann es passieren, dass dir am einen Tag das Handy aus der Tasche fällt und du es am nächsten exakt dort wiederfindest, wo du es verloren hast. Nicht einmal Verlorenes wird gestohlen – aber Fahrräder, leider nicht selten. Dennoch kann man sich hier immer noch verdammt sicher fühlen.
Nicht sicher gefühlt haben sich in ihren Heimatländern die Menschen, die nun als zugezogene Neubürger seit geraumer Zeit in der Stadt leben und arbeiten oder in Ausbildung sind. In ihrer Freizeit nutzen sie gerne die Angebote des Bellevue di Monaco, das seit nunmehr 10 Jahren an der Müllerstraße Bewohner mit Geflüchteten zusammenbringt und ein vielfältiges Angebot für alle organisiert. In diesem von Till Hoffmann, Barbara Bergau, Grisi Ganzer und so vielen anderen engagierten Menschen geschaffenen und täglich summenden Bienenstock trafen sich im vergangenen Jahr Sprecherkollegen mit Geflüchteten über fünf Monate hinweg regelmäßig zum Austausch über alles, was sie bewegt und über Bewegung an sich. Fünf Münchner mit deutscher Sozialisation wollten wissen, was die ehemals Geflüchteten interessiert, wie sie leben, wovon sie träumen. Sie kamen aus Afghanistan, Syrien und Somalia. Und tatsächlich haben sich nach dem Aufruf des Theaterautors Denijen Pauljevic junge Menschen gefunden, die Lust auf einen intensiven Austausch mit uns hatten. Aus einem ersten Speeddating am 17. Februar entstanden Tandems, die ein Thema gemeinsam entwickelten und dieses schließlich am 17. Juni auf die Bühnen des Bellevue brachten: als Theaterstück, Sketch, Film, Performance, Song oder Gespräch. Alle Formate waren erlaubt, von allem war am Ende etwas dabei.
Auf den Festivaltag haben sich alle gefreut, haben darauf hingearbeitet, verzweifelt Probentermine gesucht neben der Arbeit oder der Ausbildung, Requisiten besorgt, Filme geschnitten, die Werbetrommel gerührt, Menschen eingeladen. Immer wieder haben sich die Tandems getroffen, sich gegenseitig unterstützt mit Ideen und Rückmeldungen. Als dann an einem sonnigen Juni-Samstag auf allen Ebenen des Kulturzentrums vom Innenhof zum Dachsportplatz das Publikum wanderte und anschließend von der Vielfalt der Vorführungen begeistert, erheitert und berührt die Augen rieb, spätestens dann war klar: was für eine Bereicherung, was für ein Erlebnis. Welche Welten sich zwischen einem Franken und einem Syrer auftun können, die einen ähnlichen Humor teilen. Wie achtsam Fußballer aus 8 Nationen miteinander spielen können. Welche Fürsorge ein junges Mädchen aus Afghanistan für eine Münchner Enddreißigerin entwickeln kann, die auf der Bühne ihr Innerstes preisgibt. Welch ein Geschenk dieser Tag war.
Doch viel wichtiger als das Ergebnis war der gemeinsame Prozes, der mit den Aufführungen keinen Abschluss fand: schließlich kennt man sich jetzt. Man hat über Monate zusammen gearbeitet, miteinander um den Text oder die Musik gerungen, man hat gelacht, zusammen gegessen und getrunken. Man hat sich einander geöffnet, sich gezeigt. Es sind Beziehungen entstanden, die weit über das Projekt hinausreichen und auch bis heute noch bestehen. Gemeinsam Erlebtes schafft Bindungen – eine Binsenweisheit. Diese Bindungen führen dazu, dass die einander zuvor fremden Menschen zu Bekannten oder sogar Freunden werden, die uns nun in unserem Leben begleiten.
Das Team vom Bellevue di Monaco hat unsere gemeinsame Reise zu einem wunderschönen Erlebnis werden lassen und den Raum für Phantasie und Kreativität, für’s Schreiben und Spielen geschaffen. Und für Kulinarik! Wir danken von Herzen.
Bildlich hat den Prozess Robert Fischer begleitet, der – wie alle Beteiligten – ohne Honorar und in seiner Freizeit bei uns gearbeitet hat. Bayern 2 hat das Projekt on air unterstützt und unser Kollege Ulrich Möller-Arnsberg hat uns begleitet: hier seine Reportage für das interkulturelle Magazin. Henriette Busch hat uns während der Schreibwerkstatt besucht, ihr Bericht erschien in der Süddeutschen Zeitung.