Ein kompaktes Buch, das glatt und weich in der Hand liegt, fast schwer. Haptisch ein Genuss, auch optisch. Schlägt man dann diesen kleinen, dichten Roman nach der Lektüre von 378 Seiten zu, räkelt sich, steht auf und macht das Radio an und es erklingt eine alte Aufnahme des Donau-Walzers von Johann Strauß, dann glaubt man sofort an eine vierte Dimension, an Übersinnliches. Denn solche Zufälle gibt es nicht. Und übersinnlich beginnt der Roman „Die vorderen Hände“ von Martin Zels auch mit dem Motto „Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen. Ich schulde ihnen noch mein Leben.“
Das schöne, alte Klavier auf dem Titel mit seinen hängenden Tasten zieht den Betrachter sofort an, es sei denn, er kann gar nichts mit Musik anfangen. Diesem Leser sei von der Lektüre des Figurenverwirrspiels denn auch abgeraten, denn es geht um Musik, um viel Musik (mit vielen eingeflochtenen Ver- und Hinweisen), und um Liebe und Kunst. Angefangen von der Dirigierstudentin Karla, die es im Wiener Musikbetrieb mit den altväterlichen Chauvinisten an der Hochschule zu tun bekommt, bis hin zum geselligen, gedemütigten und verliebten Sternekoch (zumindest kocht er so gut, dass er den Autor verzaubert haben muss), dessen Kunst man förmlich schmeckt, die Kunst der wahnsinnig machenden Speise. Dann ist da noch der dritte im Bunde, der Künstler des Wortes, ein Poet. Eine Ménage à Trois besteht oder kündigt sich an, so genau weiß man das nicht, jedenfalls schläft Karla mit dem Koch und dann doch lieber mit dem Lyriker. Sinnlich wird es im Lokal, das dem ewig grummelnden Meisterkoch zwar nicht mehr gehört, das aber seine ganz persönliche Bühne ist, auf der sich die bessere Wiener Gesellschaft trifft. Und die verhasste Dame vom Gesundheitsamt mit Spitznamen Baba Yaga, die sich gern selbst zum Essen einlädt, könnte auch der bayerischen CSU angehören.
Kennt man den Autor, könnte man annehmen, er habe alle seine Begabungen in den drei Hauptfiguren vereint. Daher auch die Verwirrung im anfänglichen Verwirrspiel, wenn die Namen der näheren und weiteren Protagonisten sich zu wiederholen scheinen und man die geschickte Technik noch nicht durchschaut hat, mit der Martin Zels nicht nur sich selbst spiegelt, sondern auch seine auf einer alten Schreibmaschine der Mutter getippte Alltagslyrik im Roman unterbringt, locker gestreut zwischen den einzelnen Kapiteln.
Die Hände der Kunst, des Könnens, des Außen, irgendetwas sichtbares, das sind die „vorderen Hände“ wohl, und schon fragt man sich, wo denn dann die hinteren Hände stecken?
Mit der Zeit kommt man drauf, wenn sich aus dem Kaleidoskop von zunächst nicht ganz leicht einzuordnenden Momenten eine beinahe stringente Handlung ergibt, die am Ende auf einen spannenden Höhepunkt zusteuert: eine künstlerische Kulmination, wenn man so will (und um das Spoilern zu vermeiden). Und erst dann versteht man die Parallelen zur Jetzt-Zeit, die zuvor nicht als solche erkennbar werden. Dafür erlebt der Leser dann den funkensprühenden Ideenreigen vom vor Fantasie förmlich berstenden Schauspielmusiker und Komponisten Martin Zels, der mit diesem Wien-Buch sowohl der Stadt und seinem Schmäh als auch der Musik und allem Unbewussten, traumhaft Sehnsüchtigem ein verschmitztes Denkmal gesetzt hat. Und der Donauwalzer spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Erschienen bei Braumüller 2021, zu finden im Buchhandel.
Foto J. Cortis/Rom 2020